15
Feb
2018
Kindertrauer – wie gehen wir richtig damit um?
Posted On 15. Februar 2018
By Ava Rasper
And has No Comment
„Sterben, Tod und Trauer – diese Themen, so tabubehaftet sie oft sind, berühren und beschäftigen uns alle. Auch Kinder sind von Verlusterlebnissen betroffen. Inwiefern unterscheiden sie sich in ihrem Trauerverhalten von Erwachsenen? Welche besondere Unterstützung brauchen sie?“
(http://www.report-psychologie.de/thema-des-monats/archiv/artikel/kindertrauer-2014-11-25/)
5 Fragen an…
Dr. Franziska Röseberg
Dr. Franziska Röseberg ist Psychologin, Mitarbeiterin am Zentrum für Palliativmedizin, Malteser
Krankenhaus Seliger Gerhard Bonn/Rhein-Sieg, und in der psychologischen und psychoonkologischen Beratung sowie in der Trauerbegleitung tätig – unter anderem im Projekt „Trau Dich Trauern“. Zudem ist sie Gründungsmitglied und Sprecherin des Bundesarbeitskreises Trauerbegleitung von Kindern, Jugendlichen und deren Familien.
Was wissen Kinder in welchem Alter über Sterben und Tod?
Das ist extrem unterschiedlich und hängt sehr vom emotionalen und kognitiven Entwicklungsstand der Kinder ab. Wir gehen davon aus, dass Kinder ungefähr im Alter von zehn bis zwölf Jahren ein erwachsenengemäßes Todeskonzept erwerben. Das heißt, ab diesem Zeitpunkt sind sie sich der Kausalität, der Nonfunktionalität, der Irreversibilität und der Universalität des Todes bewusst: Sie haben verstanden, dass die Ursachen des Todes biologischer Natur sind, dass der Körper, wenn er tot ist, aufhört zu funktionieren, dass der Tod unumkehrbar ist, und dass alle Lebewesen sterben müssen.
Das heißt natürlich nicht, dass jüngere Kinder keine Vorstellung vom Tod haben. Aber diese unterscheidet sich möglicherweise von der älterer Kinder oder Erwachsener. So ist für sie der Tod oft
vorübergehender Natur: Sie fragen zum Beispiel nach, wann denn Oma wiederkommt. Das kann
für Trauernde sehr verstörend sein – vor allem, wenn schon mehrfach erklärt wurde, dass die
Oma gestorben ist.
Im Grundschulalter gibt es manchmal ein sehr naturwissenschaftliches Interesse am Tod und die
Kinder stellen Frage wie: „Könnte man nicht Oma noch einmal ausbuddeln, um zu sehen, wie die
Würmer das machen?“ Das wirkt dann recht emotionslos und ist für die Eltern nicht ganz einfach.
Für Jugendliche ist dann die Zeit der Pubertät ohnehin mit einer großen Sinnsuche verbunden.
Entsprechend wichtig sind existenzielle Fragen wie: Warum sterben wir? Warum leben wir? Was
ist der Sinn? Und die Antworten werden noch einmal ganz neu gedacht.
Auf jeden Fall machen sich Kinder über Leben und Tod Gedanken. Und gerade bei den Jüngeren
ist es entscheidend, was ihre Eltern ihnen darüber erzählen.
Allerdings wird das Thema sicherlich, wenn kein direkter Anlass besteht, von Eltern eher gemieden.
Ja, und Kinder haben sehr feine Antennen dafür, wie angenehm ein Thema Erwachsenen ist. Aber
ich halte auch das Idealisieren des „ungezwungenes Verhältnisses“ zum Tod, dass Kindern manchmal zugeschrieben wird, für problematisch. Auch Kinder vermeiden das Thema „Tod“, weil es ihnen ein mulmiges Gefühl und vielleicht Angst macht. Im Regal meiner Kinder stehen Bücher zum
Tod – und sie haben manches Mal gesagt: „Nein, das Buch lieber nicht, davon werde ich immer so
traurig.“ Es scheint so, als ob Kinder auch die Traurigkeit vermeiden wollen, die sie überkommt,
wenn sie daran denken, dass Menschen, die sie sehr lieb haben – oder auch sie selbst – sterben
werden.
Allerdings ist es eine wichtige Entwicklungsaufgabe, das Konstrukt „Tod“ zu verstehen. Und es ist
nicht günstig, wenn Eltern das Thema meiden und abwarten, bis Kinder von selbst Fragen stellen.
Manche werden dies vielleicht nie tun, weil sie merken: Darüber spricht mein Papa oder meine
Mama nicht gerne. Und andere fragen plötzlich: „Mama, wann stirbst du?“ Und Mama ist gedanklich irgendwo zwischen Kindergarten und Einkaufen und ringt um Worte.
Ab dem Kindergartenalter können die Themen „Leben“, „Sterben“ und „Tod“ angesprochen werden: Lebt der Stein? Lebt der Käfer? Sieh mal, der Vogel dort ist tot. Er ist gestorben und nun bewegt er sich nicht mehr, atmet nicht mehr und frisst nicht mehr. Kinder beschäftigen sich ohnehin
mit dem Thema. Die Frage ist nur, ob sie damit allein gelassen werden oder Begleitung haben.
Inwiefern trauern Kinder anders als Erwachsene?
Grundsätzlich unterscheidet sich die Trauer von Kindern und Erwachsenen gar nicht so sehr. Vor
allem sind Kinder aufgrund ihres emotionalen und kognitiven Entwicklungsstands darauf angewiesen, Unterstützung zu erhalten. Und auch zu erfahren: Es gibt einen Teil meiner Welt, der nach
wie vor sicher ist. Mein Alltag funktioniert, ich habe andere Bezugspersonen, die für mich da sind,
kann mit jemandem sprechen. Und es ist ganz normal, dass ich gerade eine Vielzahl verschiedener
Gefühlen erlebe. Trauer heißt nicht nur, die ganze Zeit zu weinen: Manchmal fühlt man auch gar
nichts oder ist sehr wütend.
Gertrud Ennulat hat ein schönes Bild entworfen, dass die Trauer von Kindern und Erwachsenen
aus meiner Sicht sehr schön beschreibt: Erwachsene waten durch ein großes und tiefes Tal der
Trauer. Kinder hingegen springen in Pfützen der Trauer. Sie schalten eher um und sind auch
schneller mal wieder fröhlich und stabil.
Das führt bestimmt hin und wieder zu Missverständnissen.
Ja, solche Fragen kommen sehr oft von den Eltern: „Wie kommt das – mein Kind trauert gar nicht
richtig?“ Kinder wirken mitunter sehr aufgeräumt und stabil. Das kann daran liegen, dass sie merken: Das System, in dem ich mich befinde, ist fragil – da kann ich nicht auch noch nicht funktionieren. Deshalb verhalten sie sich besonders angepasst. Oder es treten plötzlich aggressive Verhaltensweisen auf, die von den Eltern natürlich auch nicht unbedingt als Trauer interpretiert werden.
Für Erwachsene ist es mitunter schwer, zu verstehen und zu erkennen, was das Kind gerade
braucht. Oft hilft es, wenn sie sich selbst öffnen, von sich erzählen, davon, wie es ihnen mit dem
Todesfall in der Familie und ihrer Trauer geht. Manchmal sind Kinder gerade deshalb wütend, weil
zum Beispiel die Mutter sich immer zusammenreißt und gar nicht weint. Es ist nicht nötig, sich vor
Kindern immer vollkommen zurückzunehmen: Denn sie brauchen auch das Vorbild, ein Modell in
der Trauer und die Erlaubnis, diese zeigen zu können.
Sollten Kinder an Beerdigungen teilnehmen?
Das kommt darauf an. Es ist sicher nicht richtig, Kinder zwangsläufig mitzunehmen. Aber eine Beerdigung ist ein wichtiges Erlebnis – denn die Rituale nach dem Tod helfen allen, auch den Kindern, zu verstehen, was passiert ist. Allerdings brauchen Kinder unbedingt eine gute Vorbereitung. Sie brauchen Erklärungen, Unterstützung und eine emotionale Begleitung zum Einordnen
dieser Erfahrungen. Manchmal sind die Eltern, weil sie selbst zu betroffen sind, nicht die richtigen
Personen, um diese Aufgabe zu übernehmen. Dann ist es hilfreich, wenn eine andere, weniger
direkt involvierte Vertrauensperson dabei sein kann, um sich um das Kind zu kümmern.
Ähnliches gilt für das Abschiednehmen. Wir werden oft gefragt, ob das Kind den Verstorbenen
noch einmal sehen sollte. Meist haben dabei eher die Erwachsenen Bedenken als die Kinder. Das
Abschiednehmen kann helfen, zu verstehen, dass ein Mensch tot ist und das sich dieses Totsein
vom Leben unterscheidet. Wieder sollten sich alle Beteiligten viel Zeit lassen und den Kindern vorher den Ablauf beschreiben: „Oma war sehr krank und ihr Herz hat aufgehört zu schlagen. Sie
sieht anders aus als zu der Zeit, als sie gelebt hat. Sie atmet nicht mehr. Die Haut sieht blass aus
und ihr Körper ist kalt, weil das Blut nicht mehr fließt. Wir werden zusammen in das Zimmer gehen und uns zu ihr setzen. Wir können sie ansehen, anfassen und auch reden. Ihr Körper ist gestorben, aber an das, was Oma für uns war, können wir uns erinnern.“ An dieser Stelle ist dann
auch Raum für die individuellen Vorstellungen zum Tod oder, wenn es für die Familie passt, für religiös geprägte Jenseitsvorstellungen.
Wenn denn die Eltern so konkrete Vorstellungen haben…
Bei diesem Thema finde ich es wichtig, dass ein Kind lernt: Die Erwachsenen wissen es auch nicht
genau. Sie wissen zwar manche Dinge – dass der Körper nicht mehr lebt, dass der Mensch, so wie
wir ihn kennen, nicht wiederkommt – aber vieles ist eben nicht klar. Kinder merken, wenn sie nur
tröstliche Antworten vorgesetzt bekommen, an die die Erwachsenen auch nicht glauben. In dieser
Frage gibt es kein richtig oder falsch, sondern es geht vor allem darum, irgendeine Vorstellung zu
haben. Es ist für niemanden einfach, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Und es ist normal,
ein mulmiges Gefühl oder Angst zu haben.
Entsprechend müssen wir auch akzeptieren, wenn Kinder und Jugendliche sagen, dass sie nicht
zur Beerdigung gehen oder den Verstorbenen nicht noch einmal sehen wollen. Dann ist es gut,
mit ihnen in Ruhe zu sprechen, ihnen Zeit zu lassen, nachzufragen, welche Bedenken sie haben.
Häufig ist es Unsicherheit bezüglich dessen, was auf sie zukommt. Durch entsprechende Vorbereitung und Begleitung kann diese verringert werden. Auch die emotionale Seite anzusprechen ist
hilfreich: „Auf Beerdigungen sind die Menschen sehr traurig, weil sie den, der gestorben ist, sehr
lieb hatten. Wahrscheinlich werde auch ich weinen müssen.“ Bleiben Kinder oder Jugendliche
dennoch bei ihrem Nein, sollten sie auf jeden Fall ernst genommen und nicht gezwungen werden,
den Verstorbenen zu sehen oder zur Beerdigung zu gehen.
Es geht meines Erachtens darum, die Rituale nach dem Tod eines Menschen gemeinsam zu gestalten. Kinder und Jugendliche, die in die Gestaltung der Beerdigung einbezogen werden, können
sich als Teil einer Gemeinschaft fühlen und mit dieser von dem Verstorbenen Abschied nehmen.
Sie können beispielsweise ein Bild malen oder einen Brief schreiben, der dann in den Sarg gelegt
oder mit ins Grab gegeben wird. Viele Bestatter unterstützen Familien dabei heute sehr offen.
Wie können Kinder, die selbst sterben müssen, unterstützt werden?
Auch in diesen Fällen ist es wichtig, offene Kommunikation zu ermöglichen und für das manchmal
unaussprechliche Leid einen Ausdruck zu finden. Verständlicherweise herrscht in Familien, in denen ein Kind lebensverkürzend erkrankt ist, eine große Anspannung und Angst. Der drohende Tod
steht manchmal wie ein unsichtbarer Klotz mitten im Raum und es ist viel zu schmerzlich, dort
hinzuschauen oder gar auszusprechen, dass es sein könnte, dass das geliebte Kind sterben wird.
Dennoch tut es Kindern gut, das, was sie erleben, zu benennen. Und sie haben häufig eine Klarheit
in ihren Formulierungen, die Eltern oder anderen Erwachsenen fast weh tut. Erkrankte Kinder
spüren, dass es ihnen immer schlechter geht, und dass – wenn das nahende Sterben nicht angesprochen wird – sie von ihren Eltern vertröstet werden. Daher kann es für sie regelrecht eine Erleichterung sein, wenn einer der Erwachsenen sagt, dass es sein könnte, dass das Kind recht hat –dass es tatsächlich sterben muss.
Oft hilft es Eltern und Kinder, wenn sie ihre Ängste oder andere Gedanken und Gefühle erst einmal unabhängig voneinander mit einem Dritten ansprechen, also mit einem Mitglied aus dem Behandlungsteam, mit einem Arzt, einem Mitarbeiter der Pflege oder vom Hospizdienst, mit einem Sozialarbeiter oder Psychologen. Dann können sie in einem nächsten Schritt – und das ist leider nicht immer möglich – miteinander sprechen.
Es ist absurd zu erwarten, dass Eltern den Tod ihres Kindes bejahen werden. Das Annähern an diese Tatsache ist und bleibt schwierig, da die natürliche Reihenfolge des Sterbens außer Kraft gesetzt ist. Eine offene Kommunikation ist eine große Herausforderung für alle. Dennoch: Durch siekann Nähe innerhalb der Familie entstehen.
Welche Folgen kann unverarbeitete Trauer haben?
Zunächst würde ich eher von „Bearbeiten“ als von „Verarbeiten“ sprechen. Denn die Trauer um
einen geliebten Menschen ist eigentlich nie abgeschlossen. Sicher ist irgendwann die Phase der
akuten Trauer vorbei, aber das Ereignis kann ein Leben lang begleiten. Menschen denken zum
Beispiel auch im Erwachsenenalter noch daran, wie traurig es ist, dass sie ihren Vater nicht länger
erleben durften, dass er seine Enkelkinder nicht kennengelernt hat. Daher muss Trauer in verschiedenen Lebenssituationen möglicherweise immer wieder neu bearbeitet werden. Die Integration des Ereignisses in die persönliche Biografie ist dabei das Ziel. Wir gehen davon aus, dass den
meisten Menschen die Anpassung gelingt, und dass der Anteil der komplizierten Trauer mit psychischen Folgen verhältnismäßig gering ist.
Dennoch ist der Tod eines nahen Angehörigen ein kritisches Lebensereignis und ein Risikofaktor
für eine Reihe von negativen Entwicklungen – wie etwa geringerem Schulerfolg und Selbstbewusstsein, einem höheren Ausmaß an externalen Kontrollüberzeugungen und psychischen Auffälligkeiten. Je jünger die betroffenen Kinder sind und je weniger persönliche und familiäre Ressourcen sie haben, desto eher kann das Erleben von Sterben und Tod solche Folgen haben.
Wir möchten Trauer allerdings nicht pathologisieren. Eltern haben oft große Ängste in dieser Hinsicht – und da gilt es eher, sie zu beruhigen und ihnen zu ermöglichen, ihre elterliche Kompetenz
nach dem Tod eines Familienmitglieds wiederzugewinnen. Die Stützung der Eltern mit ihren Fähigkeiten und Ressourcen, hilft auch den Kindern in der Familie.
Die Begleitung, die wir anbieten, ist sehr niederschwellig, denn wir gehen davon aus, dass wir
trauern können. Gut ausgebildete Trauerbegleiter unterstützen diesen Prozess, helfen bei Fragen
und Unsicherheiten und tragen damit zur Stabilisierung von Familien in der ersten Zeit der Anpassung an den Todesfall bei.
Sicher braucht das nicht jeder, aber für die Menschen, die sich Unterstützung wünschen, wäre es
wichtig, bekannt zu machen, wo sie Beratung bekommen können. Oft haben sich Trauerbegleitungsangebote für Kinder, Jugendliche und Familien im Bereich der Hospiz- und Palliativversorgung entwickelt. Aber jemand, der einen Angehörigen aufgrund eines Unfalls oder eines Herzinfarkts verloren hat, kommt nicht ohne Weiteres mit diesen in Berührung. Für Betroffene ist es daher mitunter schwer, einen qualifizierten Berater zu finden. Das ist in anderen europäischen Staaten besser organisiert – und auch finanziert. Denn leider gibt es momentan in Deutschland für die
Arbeit, die wir machen, keine Finanzierung. Dafür, dass sich dieser Zustand in Zukunft bessert und
auch für Standards in der Qualifizierung setzt sich der Bundesverband Trauerbegleitung e.V. unter
anderem ein.
Die Fragen stellte Susanne Koch.
©
www.report-psychologie.de
(25.11.2014)
Quelle: (Stand 23.1.2018) http://www.report-psychologie.de/fileadmin/user_upload/Thema_des_Monats/11-12-14_Roeseberg.pdf